Der Schatz in der Frankenallee oder: Wie ich einmal fast zu einer Mercedes S-Klasse gekommen wäre

Manchmal hat man wirklich Unglück im Glück. So wie ich, als ich fast einmal einen „Mercedes 450 SEL 6.9“ geschenkt bekommen hätte. Aber das Glück ist nicht unbedingt mit den Tüchtigen oder besser den Hartnäckigen, und so musste ich heute zuschauen, wie mir der schicke alte Benz (Baujahr irgendwo zwischen 1972 und 1980) vor der Nase davon fuhr – wenn auch nicht aus eigener Kraft.

Mercedes Benz 450 SEL 6.9 (W116)

Doch von Anfang an. Wie so oft in den vergangenen Jahren bin ich mal wieder umgezogen und wie immer sollen auch die lieben motorisierten Familienmitglieder mit – und zwar in eine schöne und vor allem trockene Tiefgarage genau gegenüber unseres neuen Domizils. Als ich die Garage betrat und einen passenden Stellplatz auswählen wollte, sprang mir eine daumendick mit Staub überzogene S-Klasse Typ W116 in Auge. Der Platz daneben sei frei und bald auch beide Plätze, meinte der Garagenschaffner. „Wie das?“ rief ich, und: „Was passiert mit dem schönen Benz?“ Und da geht die Geschichte richtig los.

Mercedes Benz 450 SEL 6.9 (W116)

Der Mercedes stehe schon seit rund 19 (!) Jahren auf diesem Platz, ohne bewegt worden zu sein. Der Besitzer, Herr B., sei nicht auffindbar, und deswegen möchten Verwalter und Besitzer der Garage den Wagen nun loswerden. Erstmal würde er nach hinten in eine Ecke geschleppt und dann irgendwann verschrottet. In diesem Moment muss ich irgendwas von „Kann nicht sein“, „Das schöne Auto“ und „Nicht wegschmeißen, ich nehm’s“ gestammelt haben, denn der Garagenschaffner meinte, klar könne ich den Wagen haben. Ich: Völlig verdutzt und gleichzeitig elektrisiert. Sollte ich hier soeben einen echten Scheunenfund gemacht haben – mitten in Berlin?

Mercedes Benz 450 SEL 6.9 (W116)

Der Zustand des Mercedes schien auf den ersten Blick ganz gut zu sein. Klar: Kiloweise Staub und platte Reifen machen nicht den besten Eindruck, aber das Blech sah angenehm gut in Schuss aus und Rost ließ sich kaum ausmachen. Ein paar verräterische Spuren an einigen Schrauben – mehr war nicht. Der Innenraum schien – so es der Blick durch die trüben Scheiben zuließ – ebenfalls ganz passabel. Ich kann mich nur wiederholen: Hätte ich hier einen echten Scheunenfund gemacht???

Mercedes Benz 450 SEL 6.9 (W116)

Recht frohen Mutes verließ ich die Garage, ab ins Büro. Per Telefon war ich nur Sekunden später beim Verwalter. Der bestätigte mir, was der Garagenschaffner schon gesagt hatte. Jahrzehnte Standzeit und seit Jahren ausbleibende Mietzahlungen. Der Besitzer nicht zu erreichen. Dutzende Anfragen ans Melderegister seien erfolglos geblieben, genau wie Besuche des Verwalters an den letzten bekannten Meldeadressen. Um es kurz zu machen: Der Benz blockiere einen Parkplatz, wenn ich mich drum kümmere, könne ich den Wagen haben – für lau.

Mercedes Benz 450 SEL 6.9 (W116)

Der Ehrgeiz war geweckt. Wie bekomme ich den Benz? Erster Anruf Kraftfahrbundesamt in Flensburg. Mit denen hatte ich schon ein paar Mal gute Erfahrungen gemacht, um die Zulassungszahlen diverser Oldies zu erfragen. Nur war der Fall jetzt schwieriger. Der Mitarbeiter war hilfsbereit und freundlich, konnte allerdings nur wenig helfen. Selbst wenn ich Fahrgestellnummer, letztes Kennzeichen oder den Namen des letzten Besitzers wüsste, könnte man mir aufgrund des Datenschutzes keine weiteren Auskünfte geben. Aber der Mitarbeiter erklärte mir, wie es weitergehen könnte. Nämlich: Zulassungsstelle, Prüfbehörde und gut – wenn ich einen Eigentumsnachweis vorweisen könne. Gleiches Spiel bei der Zulassungsstelle: Nette Mitarbeiterin, viel Hallo (Sie haben ein Auto gefunden? Wow! So etwas müsst mir mal passieren …), Hinweise zum Prozedere, aber wieder Hinderungsgrund Datenschutz.

Mercedes Benz 450 SEL 6.9 (W116)

Also versuchte ich es andersherum. Ich wollte mir die Papiere und die Schlüssel vom Besitzer besorgen – wer sein Auto jahrzehntelang in einer Tiefgarage vergammeln lässt, kann schließlich nicht mehr all zu sehr an ihm hängen…doch wo steckt der Besitzer? Ich hätte nun auch den Weg über die Meldeämter einschlagen können. Das kostet jedoch Geld und Zeit. Beides habe ich leider nicht so reichlich. Aber ich hatte ja den Namen. Vielleicht ließe sich so etwas herausfinden, denn im Recherchieren bin ich berufsbedingt recht fit. Den großen Suchmechanismus angeworfen und los ging es. Ich fand heraus, dass der Besitzer einst ein recht großes Kosmetik- und Medizin-Stöffchen-Unternehmen besaß – inklusive repräsentativem riesengroßen Stuck-verziertem-Altbau-Firmensitz in Berlin. Doch schien letzterer schon länger geschlossen und das Unternehmen war irgendwie nun Teil eines anderen geworden. Zum Namen und Unternehmen fand ich dann noch diverse Einträge – so auch einen zu einer Immobilienfirma, an der Herr B. oder sein (ehemaliges?) Unternehmen beteiligt sein muss – aber ihn selbst fand ich nicht.

Mercedes Benz 450 SEL 6.9 (W116)

Was tun? Ich entschloss mich, bei der Firma anzurufen. Die sitzt je nach Suchergebnis entweder in Berlin oder Hessen. Ganz klar geworden ist mir das Konstrukt nicht. Dort konnte man mir erst nicht helfen. Als ich es eine Stunde noch einmal telefonisch versuchte, versprach mir die Mitarbeiterin, einmal in der Unternehmensführung nachzufragen, ob es Herrn B. gebe, gegeben habe und ob noch ein Kontakt existiere.

Mercedes Benz 450 SEL 6.9 (W116)

Dann ging es erstaunlich schnell. Ich bekam einen Anruf, ja Herr B. gebe es noch. Er verbringe seinen Lebensabend in Venezuela, sei nur ein zwei Mal im Jahr in Deutschland. Um welches Auto es sich denn handele, ah ja, die S-Klasse. Stimmt, so einen fuhr Herr B. Ist nen 450 SEL. Was damit sei? Keine Ahnung. Papiere und Schlüssel? Wahrscheinlich verschollen. Aber er werde sich mit dem Bruder in Verbindung setzen.

Mercedes Benz 450 SEL 6.9 (W116)

Das hat er auch wirklich getan. Am späten Nachmittag erhielt ich einen Anruf. Die vergleichsweise (und unerwartet) junge Stimme erklärte, er sei der Bruder des Herrn B. und ja das Auto … das Auto sei verschollen gewesen. Niemand habe sich daran erinnern können, wo denn die S-Klasse abgeblieben sei. Und vielen Dank für die Kontaktaufnahme. Ich fragte dann allerdings noch ein wenig mehr nach.

Herr B. hatte demnach bei mir in der Straße gewohnt und sei dann umgezogen. Dabei sei das Auto „vergessen“ worden. Wo Schlüssel und Papiere stecken, sei höchst fraglich. Und außerdem sei der Wagen ja eigentlich auch gar nicht Herr B.s Wagen, sondern der eines Freundes / Bekannten / Kollegen / Geschäftspartners von Herrn B. Dazu kommt, der Mercedes habe einen kapitalen Motorschaden und sei deswegen in der Garage geblieben (doch nicht vergessen?). Alles in allem sei er in schlechtem Zustand, war sich der Bruder von Herrn B. sicher (auch ohne den Wagen in den vergangenen mehr als 10 Jahren gesehen zu haben). Ich könne ihn nicht haben, der Wagen habe einen gewissen Wert für ihn. Wegen der Schulden einige man sich schon mit der Verwaltung und dann werde man den verschollen geglaubten Wagen aus der Garage holen. Schade.

Mercedes Benz 450 SEL 6.9 (W116)

Heute war es dann soweit. Ein Mitarbeiter der (Ex?) Firma von Herrn B. und ein Abschleppunternehmen holten die S-Klasse aus der Garage.Die Reifen waren gerade frisch aufgepumpt und der Wagen machte gleich einen noch besseren Eindruck. Und nach ein paar Anläufen (und Beulen) war es dann auch schon vorbei. Huckepack machte sich die S-Klasse von dannen und jetzt war mit ganz klar: Das wird nix mit meinem „Garagenfund“.

 

 

Insgesamt bleiben bei der Geschichte einige offene Fragen. Denn: Wie um Himmels Willen kann man so ein hochwertiges Auto einfach mal in der Garage ‚vergessen‘? Die wahre Geschichte dahinter wird wohl immer im Dunkeln bleiben. Ich tröste mich derweil damit, ein schönes altes Auto vor der Schrottpresse bewahrt zu haben.

Mercedes Benz 450 SEL 6.9 (W116)

Mercedes Benz 450 SEL 6.9 (W116)

Mercedes Benz 450 SEL 6.9 (W116)

Mercedes Benz 450 SEL 6.9 (W116)

Mercedes Benz 450 SEL 6.9 (W116)

Mercedes Benz 450 SEL 6.9 (W116)

Mercedes Benz 450 SEL 6.9 (W116)

Mercedes Benz 450 SEL 6.9 (W116)

 

4 Gedanken zu “Der Schatz in der Frankenallee oder: Wie ich einmal fast zu einer Mercedes S-Klasse gekommen wäre

    1. Hmm … Kann das heute gar nicht mehr sagen. Wenn ich mich recht erinnere, war das entweder die Aussage des Angehörigen des Besitzers oder die Aussage des Abschlepptrupps. Oder war die Haube offen? Ich kann’s dir leider nicht mehr sagen. Ist ja nun doch schon lange her. Bin mir allerdings ziemlich sicher, dass es der 6,9er ist – sonst hätte ich es damals nicht geschrieben. (Ist der Aufkleber „Super Plus“ ein Indiz? Brauchte der kleine V8 auch den 98 Oktan Sprit?)

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